„Na, du Grinch.“ Ihre beste Freundin, Nora, umarmte sie. Sie kannte seit jeher Bettys Abneigung gegen Weihnachten und machte sich jedes Jahr aufs Neue darüber lustig. Im Gegensatz zu der langen, glatthaarigen Betty, war Nora mit ihren kurzen lockigen Haaren ein großer Weihnachtsfan. Vor allem Weihnachtsfilme und -lieder sah und hörte sie jedes Jahr rauf und runter. Sie zwang Betty jedes Jahr aufs Neue ihren Lieblingsweihnachtsfilm Liebe braucht keine Ferien zu schauen, wobei sie jedes Mal mit Cameron Diaz anfing zu weinen. Betty hingegen ließ das kalt. Diese idealisierten Liebesfilme, in dem eine Frau nichts weiter als das perfekte Happy End brauchte, um glücklich zu sein. Was für ein Schwachsinn. Als, wenn eine Frau nicht auch alleine glücklich sein könnte. Betty zupfte, bei den Gedanken daran, an ihrem schwarzen Linkin-Park-Shirt herum, dass unter ihrer offenen Jacke hervorschaute.
„Na, Weihnachtself“, kommentierte sie Noras grünes Langarmshirt mit Rüschen dran. Nora drehte sich begeistert herum.
„Oder?“, sagte sie strahlend. Betty konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Sie würde es nicht wundern, wenn ihre beste Freundin irgendwann mit einem Elfen-Kostüm vor ihr stehen würde. Noch weniger würde es sie wundern, wenn sie dem Weihnachtsmann höchstpersönlich beim Geschenkeausliefern helfen würde.
„Guck nicht so zynisch. Ich bin mit meinem Klamottenstil wenigstens nicht in der Zeit zwischen ,Ich spiele nicht mehr mit Barbies‘ und ,Ich verliere meine Jungfräulichkeit‘ stehengeblieben“, spielte sie auf ihr T-Shirt aus Bettys Jugendzeiten an. Betty schwieg ungeachtet. Sie war ihre zynischen Kommentare über ihren Kleidungsstil gewöhnt. Würde Nora Betty einkleiden, würde sie vermutlich in ein nach Aufmerksamkeit schreiendes Faschingskostüm hineingesteckt werden.
„Und freust du dich schon auf Weihnachten?“ Noras Augen strahlten. Betty grummelte abwehrend. Obwohl sie so unterschiedlich waren, wusste Betty Nora als Freundin zu schätzen. Als ihr erster Freund sie verließ, war Nora die Erste, die vor ihrer Türe stand und sie nach einer kurzen Trauerphase, sie wieder dazu brachte an soziale Aktivitäten teilzunehmen und sie wieder zum Lachen zu bringen. Umgekehrt stand Betty direkt vor Noras Tür, als ihr Hund starb. Nichts konnte die beiden je trennen, sondern die Zeit schweißte sie nur noch mehr zusammen.
„Irgendwann finde ich auch deine Schwachstelle, Betty.“ Wie jedes Jahr versuchte Nora sie von der Schönheit der Weihnachtszeit zu überzeugen. Und wie jedes Jahr wirst du gnadenlos scheitern wie mit der Verschönerung eines Weihnachtsbaumes durch Lametta, dachte Betty, während sie zusammen anfingen durch die Einkaufsstraße zu laufen.
„Warum kaufst du noch einmal schon im November Weihnachtsgeschenke?“, fragte Betty. Nora schaute kurz auf ihr Handy mit ihrer Weihnachtsgeschenkeliste drauf und sah dann den ersten Laden an, den sie taxieren mussten.
„Weil Menschen, die im Dezember erst Geschenke holen, total gedankenlos umherirren ohne einen Plan zu haben, was sie eigentlich holen wollen. Und ich will diese Weihnachtszombies nicht vor meinen Füßen haben, wenn ich in Ruhe Geschenke kaufen möchte.“ Betty steuerte im Krimskrams-Laden gezielt auf die Kerzen zu. Sie suchte sich ohne zu zögern eine rote Kerze heraus, ging dann schnell weiter zum nächsten Regal, wo sie rote Deko-Steine heraussuchte. Eins musste Betty ihr lassen; es war mit keiner anderen Person so entspannt shoppen zu gehen. Nora verbrauchte nicht unnötig viel Zeit mit Trödeln, was Bettys Geduld auf die Probe stellen könnte.
„Und für wen ist der ganze Kitsch?“ Nora blickte sie von der Seite an.
„Oma Hildegard natürlich. Sie steht auf solche Deko, wie kein anderer Mensch.“ Nora suchte sich neben einer Schüssel, noch einen kleinen Schlitten mit Santa Claus und seine Rentiere heraus. Der ganze Laden roch bereits nach Weihnachten. Betty verwunderte es sehr, wie ein Feiertag einen eigenen Duft besitzen konnte. Trotzdem roch sie es und ließ ein ein leichtes Gefühl von Vorfreude aufkommen.
Es waren noch 46 Tage bis Weihnachten.
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