„Du hast was?“ Sandy bekam kurze Schnappatmungen. Auch Naomi und Linda hielten für einen kurzen Moment den Atem an.
„Ich habe meinen Job gekündigt“, erklärte Jules gelassen.
„Aber wieso?“ Naomi versuchte zwanghaft diese neue Information mit ihrem vorherigen Bild von Jules Arbeitsleben abzugleichen. Vergeblich.
„Ich weiß, ihr denkt nur weil ich viel gearbeitet habe und so viel Zeit und Energie in meine Arbeit gesteckt habe, dass ich meinen Job liebe. Aber das tue ich nicht. Habe ich ehrlich gesagt noch nie.“ Der Kellner brachte ihnen vier Tequila Sunrise. Linda griff ohne zu zögern danach und trank sofort einen Schluck, ohne das wöchentliche Anstoßen abzuwarten. Sandy starrte sie irritiert an.
„Den habe ich gebraucht“, verteidigte sich Linda. Dann wandten sich alle wieder zu Jules.
„Aber was willst du stattdessen machen?“, fragte Naomi unverwandt weiter.
„Naja, ihr wisst doch, was ich früher immer so geliebt habe“, setzt Jules an.
„Malen. Ich erinnere mich noch an deine ganzen Bilder“, entgegnete Linda.
„Genau. Ich weiß, es hört sich vermutlich total bescheuert an, aber ich würde nichts lieber machen, als den ganzen Tag zu malen. Das war einfach schon immer mein Traum. Als ich plötzlich nach Japan versetzt wurde, da wurde mir klar, dass ich das nie wirklich wollte. In einem fremden Land mit fremden Leuten und noch dazu einen Job, den ich nur ganz okay finde, aber nie mein Herz auf diese Weise höherschlagen lässt. Also habe ich gekündigt und habe seitdem schon drei Bilder gemalt. Gerade suche ich eine Galeristin, die mir hilft mich mit meiner Kunst selbstständig zu machen.“ Also Jules von ihrem neuen Lebensentwurf erzählte, leuchteten ihre Augen. Und obwohl die drei Freundinnen zuerst verhalten reagiert hatten, sahen sie ihre beste Freundin das erste Mal wirklich glücklich.
„Du wirst eine wundervolle Künstlerin. Ich will auf jeden Fall eine Karte für deine erste Ausstellung.“ Euphorisch umarmte Sandy Jules, die versteinert dort sitzen blieb, da sie mit einem solchen Überfall nicht gerechnet hatte.
„Ist da jemand etwa sehr glücklich?“, merkte Naomi an.
„Ich? Ich freue mich einfach für meine beste Freundin. Das ist alles“, wehrte Sandy ab. Naomi grinste breit.
„Okay, okay. Es könnte sein, dass das mit Nick und mir etwas Ernsthaftes wird. Ich habe vorgestern seine Eltern kennengelernt und morgen fahren wir für zwei Tage aufs Land“, gab Sandy zu, während ihre Wangen leicht erröteten.
„Oho“, tönte Naomi.
„Genug von mir. Was ist mit dir, Linda?“, wechselte Sandy das Thema.
„Ich halte mich von jeglichen Männern fern. Naomis wohl weisester Ratschlag.“ Linda blickte anerkennend in Naomis Richtung.
„Danke, dass Orakel spricht immer gerne kluge Weissagungen aus“, lächelte Naomi.
Dann tranken sie in Ruhe ihren Tequila Sunrise aus.
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