Zigarettenrauch

Gewidmet an meine Großeltern

Sie hörte das Knacken des Plattenspielers. Stand by me sang Ben E. King im Hintergrund, während er in dem kleinen Wohnzimmer mit brauner Blumenmustertapete auf sie zukam. Galant legte er einen Arm um ihre Hüfte und griff mit seiner anderen freien Hand, die ihre. Die letzten Wochen mit ihm fühlten sich an wie ein einziger Film. Als sie auf dem Dorffest durch ihre beste Freundin aneinander vorgestellt wurden, waren sie beide hin und weg voneinander. Sie konnten kaum die Finger voneinander lassen. Er führte sie tanzend durch das Wohnzimmer. Sie lächelte vergnügt und ließ sich nur zu gerne von ihm umherwirbeln.

„Wir sollten heiraten, findest du nicht auch?“, fragte er sie, nachdem er sie nach einer Drehung wieder zu sich zurückzog. Sie schnappte nach Luft.

„Was? Jetzt schon? Machst du jeder Frau so schnell einen Antrag?“ Ihre Stimme zitterte vor Nervosität.

„Nicht jetzt. Aber eines Tages würde ich mich sehr darüber freuen, der Mann an deiner Seite sein zu dürfen.“ Dann drehte er sie erneut herum. Als er sie diesmal zu sich zog, stahl er sich einen Kuss von ihr. Wie so oft in den letzten Wochen. Sie genoss jeden einzelnen davon. Nachdem das Lied vorbei war, setzten sie sich auf das braune Stoffsofa. Sie nahm eine Zigarette aus ihrer Zigarettenschachtel und bot ihm auch eine an. Er schüttelte den Kopf.

„Du weißt doch, ich rauch eine andere Marke“, erklärte er und zückte eine eigene Schachtel aus der Tasche seines Jacketts.

„Ich weiß. Ich wollte nur wissen, ob du es auch noch weißt“, neckte sie ihn. Er kniff sie leicht spielerisch in die Seite.

„Du bist frech“, kommentierte er mit einem sanften Lächeln. Dann steckte er sich die Zigarette in den Mund und beugte sich zu ihr vor. Sie zündete das Feuer an und hielt es an seine Zigarette, die davon anfing zu brennen.

„Nicht so frech, wie du“, konterte sie zurück. Anschließend steckte sie sich ihre eigene Zigarette in den Mund und zündete sie an. Eine Weile saßen sie schweigend da, während der Rauch der Zigaretten in die Luft hinaufstieg. Die Asche tippten sie auf den Aschenbecher ab, welcher auf dem hölzernen Wohnzimmertisch stand.

„Wenn du mich heiraten willst, willst du dann auch Kinder mit mir?“, fragte sie ihn beiläufig.

„Ein Haufen Kinder“, sagte er wie eine Selbstverständlichkeit. Sie musste lächeln. Das liebte sie so zwischen ihnen. Die großen Worte wurden nebenbei gesagt, als seien sie selbstverständlich. Daran erkannte sie sie. Die Liebe zwischen ihnen. Sie brauchten keine großen Gesten, um sich ihre gegenseitigen Gefühle zu gestehen. Es reichten diese kleinen beiläufigen Bemerkungen, die ihre Liebe zu etwas Besonderes machten.

„Und du glaubst wirklich mein Vater wird das Gutheißen?“, fragte sie ihn mit einem schiefen Grinsen.

„Was? Das wir einen Haufen Kinder machen?“ Sein Blick wanderte irritiert zu ihr.

„Nein, dass du mich heiratest“, erklärte sie ihm. Er blickte sie einen Moment schweigend an. Dann reckte er sein Kinn in die Höhe.

„Das soll er mir erstmal verbieten!“ Sie rauchten schweigend an ihren jeweiligen Zigaretten weiter bis nur noch Stummel übrig blieben, die sie schließlich im Aschenbecher ausdrückten.

„Wir sollten gleich damit anfangen, findest du nicht?“ Sie schaute ihn mit einem schelmischen Blick an. Er hingegen blickte sie ahnungslos an.

„Womit? Mit dem Heiraten?“

„Nein, mit dem Kinder kriegen.“ Da blitzte etwas in ihm auf. Mit seinen Lippen formte er ein tonloses Oh, bevor er auf dem Sofa zu ihr rückte. Er fing sie schließlich an zu küssen, während er seine Hand vorsichtig unter ihr Kleid schob. Sie küsste wild entschlossen zurück und griff umgekehrt mit ihrer Hand unter sein Oberteil.

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Das Verschwinden des Windes

Du bist verschwunden in der Ferne. Wie ein Sommerwind, unstetig, nicht greifbar, ziehst du einfach weiter. Ohne etwas mitzunehmen. Nur deine Sehnsucht nach dem, was du hinter dir gelassen hast, trägst du bei dir. Wie ein Gewand versuchst du dein wahres, inneres Wesen zu verstecken. Deine Sehnsucht, deinen Schmerz. Als würde es ihn nicht geben. Doch ich konnte für einen kurzen Augenblick in dein inneres Sehen. Ich habe es erkennen dürfen. Deine Einsamkeit vor der du flüchtest. Als könnte sie dich verschlingen. Dabei hat sie dich doch schon zersetzt. Dein Schmerz hält dich am Leben, nicht wahr? Ich kann ihn in den Falten deines Gesichtes sehen. Wie Graben hat er deine Landschaft geprägt. Ich möchte dort in deinen Augen noch eine Weile versinken. Doch du bist der Wind. Man spürt dich nur einen Moment, bevor du wieder in der Weite verschwindest. Und ich weiß, ich kann dich nicht aufhalten. Ich versuche es gar nicht erst. Stattdessen lasse ich dich weiterwehen, in der Hoffnung du würdest früher oder später noch einmal in mein Gesicht wehen, nur um mal kurz „Hallo“ zu sagen. Und so spüre ich nur die Erinnerung einer Brise auf meiner Haut, während der Wind schon längst fort ist.

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Die Worte der Vergangenheit – Eine Kurzgeschichte

Linda hielt den Brief in ihren Händen. Er musste was Besonderes sein, dachte sie sich und las ihn Zeile für Zeile. In eine Geschichte, ein Leben eintauchte, welches nicht Ihres war. Am Ende entfuhr ihr ein Lächeln. Sie fühlte sich für einen kurzen Moment wie etwas Besonderes, war sie doch die Adressatin des Briefes in ihrer Hand. Sie erwischte sich dabei, wie sie einige Zeilen nochmal lesen, als würde irgendwas verstecktes Dazwischen stehen. Doch waren es nur Worte. Rein, klar. Und doch wie ein unausgesprochenes Geheimnis.

Sie wollte den Brief gerade in die Briefbox in ihre Schublade legen, als sie den Brief von der Person sah, die ihr davor das letzte Mal geschrieben hatte. Sie kramte ihn raus und fing ihn an zu lesen. Das Für Immer in ewiger Liebe stand dort versprochen. Ein zynisches Lächeln umspielte ihre Lippen. Das war wohl nicht ganz so eingetroffen, dachte sie sich. Sie wollte den Brief ihres ehemaligen Geliebten wieder zurückstellen, als dahinter einen weiteren Brief fand. Sie nahm ihn heraus. Es folgten zwei weitere Briefe vom gleichen Verfasser. Ihre Liebschaft davor, der ebenfalls von einer Liebe für immer gesprochen hatte. Plötzlich schmeckte sie den bitteren Beigeschmack der Briefe. Wie sie in den Momenten, wo sie diese las, dachte sie seien was Besonderes. Und davon ausging, dass auch sie wäre was Besonderes für die Verfasser. Wie konnte sie sich nur so täuschen?

Es waren alle Briefe, die sie noch hatte. Zwei Briefe hatte sie vor Jahren einst zerrissen. Die Briefe ihrer ersten Liebe. Sie hatte es irgendwann nicht mehr ausgehalten, wieder und wieder die Worte der Vergangenheit zu lesen, die nicht der Gegenwart entsprachen. Von der immerwährenden Liebe zu lesen. Davon was Besonderes zu sein. Denn sobald die Fassade bröckelte, sie Risse aufwies, war es vorbei. Die Neubesetzung ihrer Rolle war schneller da, als sie das Studio verlassen konnte. Und so schrieben ihre Verfasser schon neue Briefe von der immerwährenden Liebe an eine andere Adressatin, während sie noch an ihren alten, vergessenen Worten hing. Sie stellte die alten Briefe zurück in die Briefbox. Dann nahm sie den neuesten Brief in die Hand und hielt ihn kurz in der Hand, bevor sie ihn dahin legte, wo er hingehörte. Zu den Worten der Vergangenheit.

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I like to be in America

Sie segelte der neuen Welt entgegen. Die frische Brise wehte ihr ins Gesicht und die Haare aus dem Gesicht. Die salzige Meeresluft gab ihr das Gefühl eines Urlaubs. Dabei wartete ihr neues Leben dort in der Ferne, wo die Stadt-Silhouette immer größer und klarer wurde. Ihr Traum wurde wahr. Ein neues Leben in einer neuen Stadt eines fernen Landes. Sie wusste nicht, wie lange dieser Traum schon in ihr lebte, doch nun wo er wahr wurde, schien sie sich nur noch mehr in einem Traum zu befinden. Die Realität wartete dort in der näherkommenden Ferne auf sie. Sie wusste schon jetzt, sie würde glücklich wie nie zuvor sein. Sie winkte ihrem neuen Leben entgegen.

Sie schrubbte den Boden. In der Pose fühlte sie sich wie Aschenputtel. Ein Aschenputtel, dass weder einer guten Fee noch einem Prinzen über den Weg gelaufen war. Wie sehr wünschte sie sich ihr altes Leben wieder. Die neue Welt war grausam zu ihr. Nirgends gab es Arbeit. Ihre Mietgemeinschaft glich einem heruntergekommenen Loch und nicht dem Kaninchenbau aus Alice im Wunderland wie sie sich am Anfang eingeredet hatte. Diese Stadt hatte nichts Schillerndes, Glänzendes an sich wie in ihren Träumen. Nur Löcher und dunkle, schmutzige Ecken. In einer dieser Ecken kroch sie gerade über den Boden und schrubbte und schrubbte, als könnte sie daraus doch noch etwas Glänzendes machen. Der Traum war vorbei. Sie sparte ihr Geld für ein Rückfahrtticket, hatte aber nicht mal die Hälfte des Geldes dafür zusammen.

Es dauerte ein Jahr bis sie sich auf dem Schiff zurück in ihre Heimat befand. Der Wind wehte ihre Haare ins Gesicht, als sie sich von der großen Stadt ihrer gescheiterten Träume abwandte und ihrer Heimat entgegenblickte, die noch weit außerhalb ihres Blickhorizontes lag. Träume sind eine seltsame Sache. Sind sie erstmal da, packt einen die Nostalgie und katapultiert einen zurück in die Vergangenheit. Träume sind Fluchtpunkte, genau wie die Vergangenheit. Beide sind dafür da, die Gegenwart zu vergessen.

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Der Kuss der Gegenwart

Es ist das erste Mal, dass ich nicht zurückwill. Zurück zum Anfang. Ich hänge an den Lippen der Gegenwart. Würde sie gerne küssen. Ihr sagen, dass ich nur mit ihr sein will. Die Gegenwart nimmt mich das erste Mal seit langer Zeit wieder in sich gefangen. Ich möchte mich nicht mehr in unerfüllter Nostalgie flüchten. Wie lange muss das her sein…

Gegenwart, bitte bleib noch ein bisschen! Geh noch nicht! Werde noch nicht zur verflossenen Zukunft! Ich möchte dich doch nur einen Moment länger genießen. Gewährst du mir das?

Nur einen Tanz in der stillen Nacht mit unseren stillen, einsamen Worten, die geschrieben mehr Sinn machen, als gesprochen. Doch wünsch ich mir, dass der Wind ein Stück meiner Stimme zu ihm hin weht, damit er weiß, es gibt mich wirklich. Ich bin mehr als nur meine Worte. Ich bin seine Gegenwart, so wie er meine ist. Gewährst du mir das , Gegenwart?

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Der Klebstoff der Erinnerung

Ich konnte früher nie loslassen. Eine Eigenschaft, die ich an mir nicht mochte. An Erinnerungen zu kleben wie Glitzer auf einer alten Postkarte. Noch heute erwische ich mich dabei, wie ich mich an Dingen festhänge, die scheinbar bedeutungslos sind. Als könnten mich diese Sachen vor mir selbst retten. Vor der Angst, die wirklich in mir steckt.

Ich habe geliebt. Doch ist es so lange her. Sooft dachte ich danach, geliebt zu haben, wirklich zu lieben, habe es mir eingeredet, weil ich Angst vor der Wahrheit hatte. Die Wahrheit, dass ich gar nicht mehr lieben kann. Immer, wenn ich mich beinahe Fallenlasse, reiße ich das Ruder um und übernehme die Kontrolle. Bin der Kapitän, gebe die Richtung vor. Habe dabei keine Liebe mehr in mir, denn Lieben bedeutet auch immer sich fallen zu lassen. Und ich denke an all die Male, wo ich Fallengelassen wurde. Die Wahrheit ist, ich weiß selbst nicht, wie ich den Aufprall überstanden habe. Etwas in mir, möchte nie wieder aufprallen. Deshalb lasse nur ich die Menschen aufprallen, denn ich habe Angst bei meinem nächsten Aufprall ganz zu zerbrechen. Die Ungewissheit, ob es nicht mein letzter Aufprall gewesen sein könnte.

In kurzen Momenten erwische ich mich dabei. Wie ich kurz davor bin, mich doch noch ein letztes Mal fallen zu lassen. Wie ich hoffnungsvoll erwarte, es könnte da noch etwas geben, von dem ich dachte, es sei für immer verschwunden… Träume von Menschen, die ich nicht einmal kenne. Als könnten sie lebendig werden und gleichzeitig mich zum Leben erwecken. Der Grund, warum Menschen Geschichten erzählen, ist der, dass sie Menschen Leben einhauchen wollen. Etwas in mir will etwas tot Geglaubtes zum Leben erwecken. Dabei vergesse ich fast, dass alles was lebt auch wieder sterben kann. Bedenke deine Sterblichkeit, Mensch! Und vielleicht lass ich mich gerade deshalb früher oder später wieder fallen.

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Weihnachten (4) – Die Antilope und das Schicksal

„…das war mir so peinlich“, erzählte Betty ihre Geschichte zu Ende, während Nora an ihren Kakao mit Sahne nippte. Sie standen vor der ersten offenen Weihnachtsmarktbude und schlürften ihre Heißgetränke. Bei Nora bildete sich, wie so häufig, ein Sahnemund ab. Betty fand es immer wieder faszinierend, wie sie es schaffte, dass sie immer wieder ihre Mundwinkel mit Essen und Trinken verzierte, doch sie wusste, dass ihr Freund sich immer wieder darüber freute. Ihr treuer Hund schleckte sie gerne an ihren Mundwinkel ab. Betty fühlte sich in diesen Momenten immer fehl am Platz, genauso wie in diesem Moment, wo er von der Seite aufkreuzte und sofort überschwänglich Nora abküsste.

„Hi, Betty“, begrüßte er sie, nachdem er Nora seine ganze Aufmerksamkeit schenkte.

„Benny“, grüßte Betty ihn. Nora machte sich immer über die Namensähnlichkeit ihrer Spitznamen lustig, auch wenn sie selbst Benny nie bei seinem Namen nannte. Sie dachte sich stattdessen jede Woche einen tierischen Spitznamen aus.

„Ich bin so froh, dass du hier bist, meine Antilope“, schlang Nora ihre Arme um ihn, nachdem sie ihren Kakao zur Seite gestellt hatte.

„Warum ist er eine Antilope?“ Betty wusste, dass sie seine Spitznamen nie grundlos aussuchte.

„Sie will mich diese Woche immer wieder aufs Neue auffressen“, lachte Benny. Zu viele Informationen, dachte Betty mit geröteten Wangen.

„Was habe ich verpasst?“, fragte Benny in die Runde.

„Betty steht auf einen Mann“, zwitscherte Nora heraus.

„Stimmt doch gar nicht. Ich kenne ihn nicht mal“, protestierte Betty. Dabei spürte sie eine leichte Nervosität.

„Uuuuuh“, gab Benny von sich. Benny ergänzte mit seiner aufsprudelnden Art Nora perfekt. Sie waren das Paar, welches immer auffiel und wie ein perfekt eingespieltes Team agierte. Betty sah Nora in seiner Gegenwart leuchten. Das, was sie sich so sehr für ihre beste Freundin immer gewünscht hatte und welches ihre festen Freunde vor Benny nie geben konnten. Doch als Benny vor einem Jahr in ihr Leben trat, erkannte Betty sofort die Veränderung an ihr. Sie strahlte unentwegt wie ein Christbaumstern. Sie hatte ihre zweite Hälfte gefunden, das spürte Betty sofort.

„Betty will es sich noch nicht eingestanden, aber dieser Rudolf hat es ihr ungemein angetan“, erläuterte Nora.

„Rudolf?“ Benny verstand den Zusammenhang noch nicht.

„Wir kennen seinen richtigen Namen noch nicht, aber solange heißt er für uns Rudolf“, erklärte Nora ihm.

„Und wir werden seinen richtigen Namen auch nicht erfahren, weil ich ihn nicht wiedersehen werde. Selbst wenn ich wollte. Außerdem hat er eine Freundin“, verteidigt Betty sich.

„Letzteres weißt du doch nicht. Und für Ersteres kümmert sich das Schicksal schon“, widersprach Nora. Betty verdrehte die Augen. Schicksal. Ein Begriff, der für Betty genauso schlimm war, wie Weihnachten. Menschen, die an irgendetwas Gutes glaubten, ohne die Realität zu erkennen.

„Ich weiß genau, was du jetzt denkst. Doch wenn dich das Schicksal ereilt, wirst du seine Wahrhaftigkeit erkennen.“ Nora erkannte sofort ihre Gedanken, ohne dass Betty diese aussprach.

„Na, mal schauen“, sagte Betty, um nicht weiter mit der rundum optimistischen Nora diskutieren zu müssen.

„Glühwein?“, fragte Benny in die Runde.

„Ich gebe auch aus “, fügte er hinzu.

Es waren noch 33 Tage bis Weihnachten.

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Weihnachten – Rudolf mit der roten Nase (3)

Gibt es etwas Schöneres wie Lebkuchen und Zuckerstangen an Weihnachten? Betty mochte beides nicht. Diese ganzen Sachen sprachen sie überhaupt nicht, während sie an den Schaufensterläden vorbeiging. Sie brauchte dringend ein paar neue Winterpullover. Das Problem dabei im Sommer Winterklamotten auszusortieren war, dass man bis zum Winter wieder vergessen hat neue Kleidung einzukaufen. Und so trug sie im November drei Schichten Klamotten plus Winterjacke, um nicht ganz so sehr zu frieren. Als sie den Klamottenladen betrat, ging sie direkt in die Abteilung mit flauschigen Pullovern. So unterschiedlich Nora und Betty auch waren, diese Gemeinsamkeit hatten sie: im Laden wussten sie beide unnötige Ablenkungen zu vermeiden.

Sie suchte sich fünf Pullover in ihrer Größe aus, wobei sie neben einen Längeren auch in einer Nummer kleiner mitnahm. Einer davon hatten ein Rudolf-das-Rentier-mit-der-roten-Nase-Gesicht mit einer rot, hängenden Bommelnase drauf. Nichts für Bettys Geschmack, doch ihre Mutter würde es zu Weihnachten lieben. Mit ihrem Arm vollgepackt ging sie schnurstracks in die Umkleidekabine und nahm sich die erste, offene Kabine, die sich ihr anbot. Überall lagen noch Klamotten in der Kabine verstreut herum. Menschen, die ihren Kram nie wegräumen, dachte Betty genervt und hing ihre Sachen auf den Ständer. Sie fing mit den Rudolfpullover an, dann würde sie das Schlimmste hinter sich haben. Sie zog ihre drei Schichten aus und schließlich den Pullover drüber.

„Seltsam“, hörte sie eine tiefe Stimme vor ihrem Kabinenvorhang sagen, während sie den Pullover drüberzog. Sie war gerade fertig und fing an sich im Spiegel zu betrachten, als der Vorhang ruckartig aufgezogen wurde. Betty zuckte erschrocken zusammen. Sie drehte sich um und sah in ebenso erschrockene blaue Augen.

„Tut mir leid, ich wollte nicht…“, druckste er rum und drehte sich sofort um. Doch Betty hatte genau gesehen, wie er zuvor noch einen kurzen Blick auf ihren hässlichen Rudolfpulli erhaschte.

„Das ist eigentlich meine Kabine“, erklärte er, während er zur Wand schaute. Das erklärte auch die Hose, die mitten auf dem Boden der Kabine lag.

„Oh, das wusste ich nicht“, entschuldigte sich Betty.

„Keine Problem. Ich wollte nur kurz meine persönlichen Modeberaterin um Rat fragen und war deshalb nicht drin“, erläuterte er.

„Du musst mir nichts erklären. Ich gehe sofort in eine andere Kabine.“ Fast schon panisch packte Betty ihre ganzen Sachen aus der Kabine zusammen. Dabei versuchte sie mit ihren restlichen Pullovern ihren angezogen Rudolfpullover zu verdecken. Erst als sie aus der Kabine trat, traute der eigentliche Kabinenbesetzer sich umzudrehen. Betty erblickte nicht nur seine stechenden blauen Augen, sondern auch seine schönen, leicht nach hinten gegelten braunen Haaren. Kurz blieb Betty der Atem stehen.

„Also du solltest das Hemd wirklich mitnehmen, Calvin.“ Betty drehte sich zu der jungen Frauenstimme um und sah eine Frau, die ihm von seinem äußerlichen Erscheinungsbild ebenbürtig erschien. Anscheinend nicht nur seine Modeberaterin, dachte Betty sofort.

„Entschuldigung, nochmal“, sagte Betty mit geröteten Wangen und verschwand in der Kabine nebenan. Sie zog schnell den Rudolfpullover aus und verfrachtete das Ding auf die auszusortierende Seite.

Beim restlichen Anprobieren ließ sie sich extra viel Zeit. Beim dritten Pullover, hörte sie noch die Stimmen der beiden, die sich von den Kabinen entfernten. Erleichtert atmete Betty auf.

Insgesamt nahm sie drei Pullover mit und hing zwei Stück wieder zurück. An der Kasse begegnete sie den Beiden zu Bettys Erleichterung nicht wieder. Es waren noch 40 Tage bis Weihnachten.

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Weihnachten – Menschen in Grün (2)

„Na, du Grinch.“ Ihre beste Freundin, Nora, umarmte sie. Sie kannte seit jeher Bettys Abneigung gegen Weihnachten und machte sich jedes Jahr aufs Neue darüber lustig. Im Gegensatz zu der langen, glatthaarigen Betty, war Nora mit ihren kurzen lockigen Haaren ein großer Weihnachtsfan. Vor allem Weihnachtsfilme und -lieder sah und hörte sie jedes Jahr rauf und runter. Sie zwang Betty jedes Jahr aufs Neue ihren Lieblingsweihnachtsfilm Liebe braucht keine Ferien zu schauen, wobei sie jedes Mal mit Cameron Diaz anfing zu weinen. Betty hingegen ließ das kalt. Diese idealisierten Liebesfilme, in dem eine Frau nichts weiter als das perfekte Happy End brauchte, um glücklich zu sein. Was für ein Schwachsinn. Als, wenn eine Frau nicht auch alleine glücklich sein könnte. Betty zupfte, bei den Gedanken daran, an ihrem schwarzen Linkin-Park-Shirt herum, dass unter ihrer offenen Jacke hervorschaute.

„Na, Weihnachtself“, kommentierte sie Noras grünes Langarmshirt mit Rüschen dran. Nora drehte sich begeistert herum.

„Oder?“, sagte sie strahlend. Betty konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Sie würde es nicht wundern, wenn ihre beste Freundin irgendwann mit einem Elfen-Kostüm vor ihr stehen würde. Noch weniger würde es sie wundern, wenn sie dem Weihnachtsmann höchstpersönlich beim Geschenkeausliefern helfen würde.

„Guck nicht so zynisch. Ich bin mit meinem Klamottenstil wenigstens nicht in der Zeit zwischen ,Ich spiele nicht mehr mit Barbies‘ und ,Ich verliere meine Jungfräulichkeit‘ stehengeblieben“, spielte sie auf ihr T-Shirt aus Bettys Jugendzeiten an. Betty schwieg ungeachtet. Sie war ihre zynischen Kommentare über ihren Kleidungsstil gewöhnt. Würde Nora Betty einkleiden, würde sie vermutlich in ein nach Aufmerksamkeit schreiendes Faschingskostüm hineingesteckt werden.

„Und freust du dich schon auf Weihnachten?“ Noras Augen strahlten. Betty grummelte abwehrend. Obwohl sie so unterschiedlich waren, wusste Betty Nora als Freundin zu schätzen. Als ihr erster Freund sie verließ, war Nora die Erste, die vor ihrer Türe stand und sie nach einer kurzen Trauerphase, sie wieder dazu brachte an soziale Aktivitäten teilzunehmen und sie wieder zum Lachen zu bringen. Umgekehrt stand Betty direkt vor Noras Tür, als ihr Hund starb. Nichts konnte die beiden je trennen, sondern die Zeit schweißte sie nur noch mehr zusammen.

„Irgendwann finde ich auch deine Schwachstelle, Betty.“ Wie jedes Jahr versuchte Nora sie von der Schönheit der Weihnachtszeit zu überzeugen. Und wie jedes Jahr wirst du gnadenlos scheitern wie mit der Verschönerung eines Weihnachtsbaumes durch Lametta, dachte Betty, während sie zusammen anfingen durch die Einkaufsstraße zu laufen.

„Warum kaufst du noch einmal schon im November Weihnachtsgeschenke?“, fragte Betty. Nora schaute kurz auf ihr Handy mit ihrer Weihnachtsgeschenkeliste drauf und sah dann den ersten Laden an, den sie taxieren mussten.

„Weil Menschen, die im Dezember erst Geschenke holen, total gedankenlos umherirren ohne einen Plan zu haben, was sie eigentlich holen wollen. Und ich will diese Weihnachtszombies nicht vor meinen Füßen haben, wenn ich in Ruhe Geschenke kaufen möchte.“ Betty steuerte im Krimskrams-Laden gezielt auf die Kerzen zu. Sie suchte sich ohne zu zögern eine rote Kerze heraus, ging dann schnell weiter zum nächsten Regal, wo sie rote Deko-Steine heraussuchte. Eins musste Betty ihr lassen; es war mit keiner anderen Person so entspannt shoppen zu gehen. Nora verbrauchte nicht unnötig viel Zeit mit Trödeln, was Bettys Geduld auf die Probe stellen könnte.

„Und für wen ist der ganze Kitsch?“ Nora blickte sie von der Seite an.

„Oma Hildegard natürlich. Sie steht auf solche Deko, wie kein anderer Mensch.“ Nora suchte sich neben einer Schüssel, noch einen kleinen Schlitten mit Santa Claus und seine Rentiere heraus. Der ganze Laden roch bereits nach Weihnachten. Betty verwunderte es sehr, wie ein Feiertag einen eigenen Duft besitzen konnte. Trotzdem roch sie es und ließ ein ein leichtes Gefühl von Vorfreude aufkommen.

Es waren noch 46 Tage bis Weihnachten.

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Weihnachten – Ein Fest fürs Leben (1)

Hemingway nannte bereits ein Buch Fiesta. Mit dem Titel bezog er sich zwar nicht auf das Weihnachtsfest, doch passt er zu dieser Jahreszeit wie kein anderer Titel. Das Fest der Lichter, das Fest der Geschenke, das Fest der Liebe. Nichts bereitete den meisten Menschen mehr Freude, wenn sie bunte Glitzerkugeln an einen Baum hängen und zu den Weihnachtsliedern mitschwingen. Nicht so Elisabeth, die von allen nur Betty genannt wurde. Sie sah in Weihnachten bloß eine Zeit, um sich von der eigenen Existenz abzulenken, ein Opfer des besinnungslosen Konsums zu werden und sich mit Glühwein zu besaufen. So war es auch nicht weiter verwunderlich, dass sie die Augen verdrehte, als ihre Mutter bereits Anfang November sie am Telefon nervte, es seien ja nur noch 52 Tage bis Heiligabend. Noch 52 Tage bis sie bei einem aufgezwungen Fest ihre Zeit aufopfern musste. Dabei war sie nicht mal getauft. Trotzdem bestand ihre Mutter darauf, die Tradition zu wahren und Weihnachten zu „feiern“, wie sie es schon ausdrückte. Was bedeutete, sich mit den Menschen, die sich als „Familie“ bezeichneten, an einen Tisch zu setzen. Schon alleine bei dem Gedanken daran, schüttelte sich Betty abwehrend. Ihre Mutter verabschiedete sich, wie am Ende jedes Telefonates, überschwänglich von ihr, als sei es irgendwas besonderes.

Betty ging nach dem Telefonat mit ihrer Mutter von Zuhause los, um eine Runde einzukaufen. Als sie durch den Supermarkt schlenderte, sah sie bereits die ganzen Weihnachtsüßigkeiten ausliegen. Vielleicht sollte man es gleich in das Fest des Diabetes umbenennen, dachte Betty genervt und nahm sich ein Paket Milch in den Einkaufswagen. Sie sah in ihren einsamen Single-Einkaufswagen, der, neben der Milch, aus einem Paket Eiern, einer Tiefkühlpizza und ganz vielen Reiswaffeln bestand. Sie hatte noch nie wirklich gekocht und sah es auch nicht ein, damit anzufangen, jetzt, wo sie das erste Mal alleine wohnte.

Die Kassierin sah sie mit einem aufgesetzten Lächeln an, als würde sie keinerlei Wertung über den Einkauf ihrer Kundin vornehmen. Was natürlich totaler Schwachsinn war. Schließlich schrie bereits ihr ganzer Einkauf nach Einsamkeit. Betty wusste, dass Menschen, die täglich abkassierten bereits anhand des Einkaufs ihrer Kunden, mehr als genug über den Menschen und das Leben dahinter erfuhren. Und ihrer enttarnte sie nicht nur als ein Single-Haushalt, sondern auch als durchaus genusslose Person. Nur die Pizza, die nichts weiter als eine Margaritha war, ließ zumindest den Hauch eines Genusses vermuten. Doch bloß nicht zu viel. Keinen Schnick Schnack. Ihre Ignoranz der an der Kasse platzierten Weihnachtssachen unterstrich dies. Die blinkende Ablenkung war für Betty nichts weiter als überflüssiger Kitsch, dessen Sinn ihr fremd war.

So fuhr sie mit ihrem Einkauf nach Hause und obwohl sie es nicht wollte, fing sie an die Tage bis Weihnachten zu zählen.

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